Ich kann es kaum begreifen, dass nun schon mehr als die Hälfte meiner Arbeitszeit hier vorbei sein soll. Mit meinem vollen Tagesplan und all den aufregenden Erlebnissen ist die Zeit wahrhaft verflogen.

So langsam habe ich mich voll und ganz an diesen Ort gewöhnt. Dank der vielen netten Menschen und der freundlichen Atmosphäre ist er wie eine zweite Heimat geworden.

Eines Tages entscheide ich mich nach der Schule, statt direkt nach Hause, noch ein wenig spazieren zu gehen. Bald stoße ich auf den etwas heruntergekommenen Basketball-Platz von McLeod Ganj. Nun muss man hinzufügen, dass was des Deutschen Fußball, des Tibeters Basketball ist. Es ist also einiges los an diesem sonnigen Tag. Ich sehe eine Weile zu und bin tief beeindruckt von den Tricks und Fähigkeiten der Spieler. Als ich nach einiger Zeit aufgefordert werde einzusteigen, habe ich zuerst einige Hemmungen, lasse mich jedoch überreden. So verbringe ich den restlichen Tag auf dem Basketball-Platz und spiele ein Spiel nach dem anderen. Am frühen Abend machte ich mich erschöpft auf den Weg nach Hause. Ich weiß schon, wo ich in Zukunft häufiger zu finden sein werde.

Gute Mund-zu-Mund-Propaganda

Auch bei meinen Schülern scheine ich mittlerweile sehr beliebt zu sein – die Atmosphäre im Unterricht ist sehr aufbauend. Oft erhalte ich nach dem Unterricht kleine Geschenke von ihnen: Süßigkeiten wie Schokolade oder auch Obst. Ich denke, dass es ihnen sehr gut tut, denselben Lehrer über eine längere Zeit zu haben, anstatt wöchentlich wechselnde Freiwillige. Und auch ich lerne ständig hinzu und merke, wie mir das Lehren, freie Sprechen und improvisieren immer leichter fällt. Doch diese Entwicklung hat auch einen Nachteil mit sich gebracht: Dank der guten Mund-zu-Mund-Propaganda  meiner Schüler, kommen nun immer mehr und mehr Anfänger hinzu.

Einerseits freue ich natürlich über diese Beliebtheit, doch es hält die erfahreneren Schüler deutlich zurück, wenn ich jede Stunde die Grundlagen aufs Neue erklären muss. Somit kam ich nach Absprach mit meinem Vorgesetzten zu dem Schluss, die Gruppe in eine Anfänger- und eine Fortgeschrittenen-Klasse zu teilen. Dadurch kann ich nun viel besser auf die verschiedenen Fragen und Probleme eingehen. Die Anfänger lernen die Grundlagen richtig und die Fortgeschrittenen kommen schneller voran. Für mich hat es zusätzlich den Vorteil, dass ich weniger vorbereiten muss, denn die „Beginners“ kann ich auch problemlos spontan unterrichten.

Kerzen werden im Tempel zu Ehren des Dalai Lamas entzündet.

Kerzen werden im Tempel zu Ehren des Dalai Lamas entzündet. © Philipp Höhnel

Der Dalai Lama kommt

In den darauf folgenden Tagen erfahre ich, dass seine Heiligkeit der Dalai Lama im Haupttempel für zwei Tage öffentlich unterrichtet. Was für eine Chance, ihn live und vor allem „zu Hause“ zu erleben. Schnell entscheide ich mich, der Veranstaltung beizuwohnen. Doch das ist einfacher gesagt, als getan. Aus Sicherheitsgründen gilt es, sich zunächst in den Büros der tibetischen Regierung anzumelden, was gar nicht ohne ist.

Nicht nur Passfotos muss ich auf die Schnelle organisieren, auch der Reisepass wird kontrolliert und die Daten übernommen. Als nächstes muss ich ein Radio besorgen. Da Seine Heiligkeit in tibetisch spricht, wird alles per Radio in Englisch übersetzt. Endlich habe ich alles beisammen, das Radio und den Zugangsausweis in der Tasche.

Dann ist es morgens soweit: Ich mache mich auf den Weg zum Tempel. Glücklicherweise ist durch die Rede der Unterricht entfallen, ich habe also genug Zeit. Nach scheinbar endlosem Warten in einer Schlange vor den Toren erreiche ich die Sicherheitskontrolle. Dort muss ich jede einzelne Tasche ausleeren. Die Kontrollen sind sehr scharf, und es gibt schwer bewaffnete Militärpräsenz, denn die tibetische Regierung sorgt sich sehr um ihr Oberhaupt.

Einmaliges Erlebnis

Es erweist sich als alles andere als einfach, einen Platz zu finden. Alles ist voll mit Gläubigen und Schaulustigen. Zu meiner Überraschung treffe ich eine junge Frau, die für dieselbe Organisation wie ich arbeitet und mir schnell einen Sitzplatz neben ihrem sichert. Die Zeremonie beginnt mit tibetischem Gesang, die Atmosphäre wird sehr andächtig. Dann erscheint der Dalai Lama, umringt von Leibwächtern, und geht langsam zu seinem Platz am Kopf des Tempels. Viele der Tibeter fallen auf die Knie und erweisen ihren Respekt. Es ist ein beeindruckendes Schauspiel.

Ich es kaum erwarten, was er lehren wird. Zu meiner großen Enttäuschung merke ich, dass der Übersetzer undeutlich spricht und häufig Probleme mit dem Übersetzen zu haben scheint. So kommt es, dass es ohne Tibetisch-Kenntnisse nur schwer möglich ist, dem Dalai Lama zu folgen. Eingepfercht zwischen hunderten von Menschen zu sitzen, ohne etwas zu verstehen, ist nun nicht wirklich das Wahre. Letzten Endes beschließe ich, die Nachmittags-Veranstaltung bleiben zu lassen und heim zu gehen.

Nichtsdestotrotz habe ich es genossen, einer so wichtigen spirituellen Veranstaltung beiwohnen zu können und seine Heiligkeit zu sehen – das erlebt man schließlich auch nicht alle Tage.

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